Diese Ausstellung ergänzt die große Jubiläumsausstellung Berlin, Berlin im ersten Stock der Helmut Newton Stiftung im Museum für Fotografie, und dort finden sich auch die hier erwähnten Fotografien aus Adam, der deutschen Vogue sowie der Helmut Newton’s Illustrated.

Helmut Newton liebte es zu reisen. Folglich ist es nicht überraschend, dass er auch für den Condé Nast Traveler gearbeitet hat. Die Coverstory My secret Berlin machte 1987 den Anfang. In diesem Portfolio mit einem langen Text des Fotografen über seine Geburtsstadt stehen ältere Berlin-Aufnahmen, unter anderem aus dem legendären Bohème-Restaurant Exil aus dem Jahr 1977, neben aktuellen Bildern, beispielsweise aus einem Biergarten in Lübars oder dem Hotel Askanischer Hof sowie ein nächtlicher Blick aus dem Autofenster auf ein Bordell. Newton zeigt uns hier, wie der Untertitel verspricht, „geheime“ Orte, unter anderem auf das „sündige Berlin“. Dieses hatte er bereits 1962 im Condé Nast-Magazin Adam thematisiert, als er in Berliner Nacht- und Stripteaseklubs, etwa im „Chez Nous“, unterwegs war.

Für die Bildstrecke im Traveler fokussierte er seinen Blick auch auf die alten, ja altmodischen Berliner Pensionen, die er noch aus seiner Jugend kannte, und porträtierte deren Besitzerinnen, oder auf die teilweise etwas schräge Gastronomie der Stadt, etwa ein Hähnchen-Restaurant in Kreuzberg. Überraschend taucht auch die Rückenansicht eines blonden Modells mit ausgebreiteten, nach oben gestreckten Armen vor dem Brandenburger Tor in der Traveler-Bildstrecke auf. Sie wirkt wie eine Modeaufnahme, vergleichbar mit dem querfomatigen Aufmacherbild aus der deutschen Vogue, aufgenommen acht Jahre zuvor am gleichen Ort, ebenfalls nachts; streng genommen ist die spätere Variante jedoch ein Reisebild. Das berühmte neoklassizistische Tor lag seinerzeit noch im Ostteil Berlin, hinter der Mauer, vor dem beleuchteten Todesstreifen. Wir schauen hier also von West nach Ost – und auf der Berliner Mauer der Westseite tauchten in jenen Jahren immer wieder neue aufgesprühte Kommentare oder Parolen auf, wie hier: „Unzählbares Deutschland“. 1987 wurde eine großangelegte statistische Erfassung der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt; eigentlich sollte diese bereits im April 1983 stattfinden, was jedoch auf erheblichen Widerstand in großen Bevölkerungsteilen stieß und schließlich sogar vom Bundesverfassungsgericht für einige Jahre gestoppt wurde. Helmut Newton interessierte sich für solche gesellschaftspolitischen Statements auf der Mauer seiner Heimatstadt, die er seit den späten 1950er-Jahren regelmäßig besuchte, und so sind solche Fotografien, zumal im Rückblick, auch historische Quellen.

1987 arbeitet Newton in Berlin auch für sein eigenes Magazin Helmut Newton’s Illustrated; unter dem Titel „Pictures from an Exhibition“ vereinte die zweite Ausgabe eine Reihe von Aktaufnahmen, erneut in altmodischen Pensionen fotografiert. Alles geschah und entstand gewissermaßen parallel, freie Projekte und Auftragsarbeiten, in Newtons drei Hauptgenres Mode, Porträt und Akt, und alles zusammengenommen wird zu einem großangelegten Porträt Berlins, einer Stadt mit sprichwörtlich vielen Gesichtern.

Weitere subjektive Reportagen für Condé Nast Traveler fotografierte Newton in den 1990er-Jahren auch an anderen Orten, in Moskau, Nizza, Oberammergau, Miami, Monte Carlo, Kalifornien, Israel und Capri. Für jeden Auftrag entstand etwas völlig Individuelles, auf die konkreten Orte und ihre Gegebenheiten reagierend, ähnlich wie er im Modebereich gearbeitet hat. Häufig sind es Porträts, Straßen- und Genreszenen, die wir im Traveler finden. Insofern sind Newtons Mode- und Porträtfotografien, seine Alltagsszenen und urbanen Landschaften, die in der gleichen Stadt entstehen, sehr eng miteinander verwoben – sie zeigen uns seinen unnachahmlichen fotografischen Blick auf die Welt und bilden ein facettenreiches und faszinierendes Abbild der ausgewählten Plätze.


Werkauswahl