Ich bin der Meinung, dass ein perfektes Modefoto nicht wie ein Modefoto aussieht, sondern eher wie ein Foto aus einem Film, ein Porträt oder ein Erinnerungsfoto – irgendwie, nur nicht wie ein Modefoto. (Helmut Newton)

A gun for hire nannte sich Helmut Newton gelegentlich selbst: Jemand, der im Auftrag von Modelabels, Badenwannenherstellern oder Baumärkten deren Produkte ablichtete und so ungewöhnliche Bilder entstehen ließ, die die Mode- oder Produktfotografie teilweise revolutionierten. Mehr als 100 solcher Aufnahmen aus den vergangen zwei Jahrzehnten, bisher nicht im Museumskontext präsentiert, werden nun unter dem Titel A gun for hire in der Helmut Newton Stiftung ausgestellt: Modebilder für Chanel, Yves Saint Laurent, Versace, Blumarine oder Mugler, ergänzt durch Aufnahmen, die für den redaktionellen Teil der unterschiedlichen Ausgaben der Vogue oder für andere Auftraggeber entstanden. Bereits seit 1961 arbeitete Helmut Newton für die französische Vogue. „Während der ganzen sechziger Jahre habe ich mein möglichstes getan, ihnen die sexuell aufreizendsten Modefotos anzudrehen.“

Helmut Newton hat es als Fotograf im Spannungsfeld von Kommerz und Kunst stets vermocht, zu überraschen und zu polarisieren. In den Redaktionen vieler Zeitschriften fand er verbündete kreative Geister, die auf seine ungewöhnlichen Bildideen eingingen. So entstand nicht nur ein außergewöhnlich charakteristisches und erfolgreiches Bildwerk, sondern eines, das über die Verbreitung durch die Magazine ein Millionenpublikum erreichte. Gleichzeitig gibt es nicht den Modefotografen Helmut Newton, ebenso wenig den Akt- oder Porträtfotografen. Sein genreübergreifendes Arbeiten, das sich über fünf Dekaden erstreckte, entzieht sich jeder Kategorisierung; der Fotograf überraschte seine Auftraggeber, sein Team und vielleicht auch sich selbst immer wieder. Seine Modebilder unterstützen den Stil der Modehäuser, etwa klassisch-traditionell für Chanel, meist sind sie der Mode jedoch sprichwörtlich voraus. Interessant sind die Vergleiche zwischen den Inszenierungen für die jeweiligen labels, die verschiedenartige Accessoires und Hintergründe, ja eine individuelle Bildsprache erforderlich machten.

Helmut Newton verdankte seinen unvergleichlichen Erfolg der „Konsumgesellschaft“, wie er konstatierte, keinen Stiftungen oder Museen. Er hätte es stets als inspirierend empfunden, für Zeitschriften oder andere Auftraggeber zu arbeiten. Die redaktionellen Seiten der Modezeitschriften empfand er als „eine Art Labor“, in dem er regelmäßig „neue Ideen ausprobieren“ konnte. So vermied er es stets, „Fotos für die Schublade“ zu produzieren, vielmehr erreichte er sein selbst gestecktes Ziel, „dass möglichst viele Leute sie sehen.“ Der vom Auftraggeber „vorgegebene Rahmen“ und das zur Verfügung stehende Budget waren die Eckpunkte seiner kommerziellen Fotografie, die es ihm ermöglichte, auch andere Projekte zu realisieren.

Helmut Newton hat stets betont, wie sehr ihn starke Frauen faszinieren. Mit einer seiner letzten Aufnahmen, redaktionell für die amerikanische Vogue entstanden, führt er uns ein besonders eindringliches Beispiel vor Augen: Eine leicht bekleidete, schlanke Frau steht auf dem Plateau eines Steinbruchs und ist im Begriff, einen riesigen Felsbrocken auf den Betrachter zu schleudern. Eine archaische Kraft scheint diesen Körper beseelt zu haben, die Spannung ist auf dem Höhepunkt, kurz vor der Entladung und der Vernichtung eines Eindringlings – oder des Fotografen, der der Frau ihr Abbild zu rauben versucht.

Szenenwechsel: Andere Modelle verhalten sich in Newtons neuer Ausstellung damenhafter oder lasziver, posieren stolz vor ausufernden Blumenbouquets in ihren blumigen Blumarine-Kleidern, auf durchsichtigen Aufblasmöbeln sitzend in transparenten Gummikostümen mit einer farbenfrohen Ledertasche von Redwall oder betend, als Nonne verkleidet, im weißen Kostüm von Mugler. Für Yves Saint Laurent dagegen schaute Newton Anfang der Neunzigerjahre in den eleganten Alltag eines großbürgerlichen Lebens. Er schuf mit wenigen ausgewählten Accessoires eine Atmosphäre, die Schein und Sein eines luxuriösen Daseins vereinte. Seit den Fünfzigerjahren fotografierte er Frauen, mit Ausnahme seiner Big Nudes, „im Leben“, auf der Strasse oder in der Metro, beim Abendessen oder am Pool – nicht vor einem weißen oder arrangierten Studiohintergrund, wie in der Modefotografie lange Zeit üblich. Insbesondere in Monte Carlo, wo Newton seit Anfang der Achtzigerjahre lebte und öffentliche Plätze zu einem open air-Studio umfunktionierte, entstanden in den vergangenen zwanzig Jahren viele Bilder in gewohnter Umgebung: er fotografierte in der eigenen Wohnung oder in der Tiefgarage seines Apartmenthauses, im Monte Carlo Beach Club oder auf den unzähligen Baustellen in Monaco. Newton liebte die Kontraste, wechselte hemmungslos die Hintergründe und zeigte exklusive Mode vor verrosteten Baumaschinen oder vor Betonwänden, die uns das Mittelmeer nur ahnen lassen.

Konsum, Eleganz und Voyeurismus sowie die Bereiche Fashion-, Beauty- und Glamour-Photography verband Helmut Newton so zu einer unnachahmlichen, kaum zu entwirrenden Melange. Hinter seinen sinnlichen Visualisierungen der unterschiedlichsten Couturier-Entwürfe steht stets eine bewusste Haltung: konsequente Auftragserfüllung und freie Interpretation der jeweiligen Modelinie zugleich. Die Selbstcharakterisierung als „A gun for hire“ ist dabei ein ebenso offenes wie provokantes Statement.

Vor sieben Jahren hat Helmut Newton mit dem Ausstellungsprojekt und Buch Pages from the Glossies auf das zurückgeblickt, was – jenseits der Big Nudes – seinen eigentlichen Ruhm begründet hat: die Modefotografie für Zeitschriften wie Jardin des Modes, Adam, Nova, Queen, Elle und insbesondere für die nationalen Ausgaben der Vogue. Anhand facsimilierter Doppelseiten kann man in einer Art Zeitreise durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die Veränderungen von Mode, Frauenbild, Gesellschaftsstruktur sowie Zeitschriftenlayout nachempfinden. Die Geschichte der Modefotografie ist nicht von der Geschichte der Medien zu trennen, für die sie entstanden ist; mit Pages from the Glossies führte Newton beides wieder zusammen. Die aktuelle Ausstellung, A gun for hire, aus Newtons Nachlass zusammengestellt, hinterfragt nun auch das Verhältnis von Auftrag und künstlerischer Kreativität.

Macht, Eros und Gewalt sind auch hier sein Thema: einmal steht Newton mit seinem Fuß auf dem Arm eines Modells, ein anderes Mal schiebt eine am Boden liegende Frau ihren Fuß in die Genitalregion des Fotografen. Blickwinkel und Bildausschnitt lassen uns zu Voyeuren oder Komplizen werden, zur Perspektivfigur des Fotografen. So zwingt uns Newton mit einigen seiner Auftragsbilder aus einer passiven, nur konsumierenden Haltung heraus und eröffnet uns – vermeintlich – die Möglichkeit zur aktiven Teilhabe an der Exklusivität dieser Welt.

Matthias Harder

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