Helmut Newton arbeitete nicht nur im Auftrag von Modezeitschriften oder Modedesignern. Er interessierte sich auch für Abseitiges, für Paparazzi-Bilder, Polizei-Fotografie und Kriminalgeschichten, kurzum: für die Yellow Press.

Die gleichnamige Ausstellung Yellow Press wurde noch vom Fotografen persönlich zusammengestellt und erstmals 2002 in seiner damaligen Züricher Galerie präsentiert. Darin finden sich mehrere Bildserien, die zuvor nicht in seinen Büchern veröffentlicht worden sind.

Werkauswahl

Yellow Press

Matthias Harder

Helmut Newton arbeitete nicht nur im Auftrag von Modezeitschriften oder Modedesignern. Er interessierte sich auch für Abseitiges, für Paparazzi-Bilder, für Polizei-Fotografie und Kriminalgeschichten, kurzum: für die Yellow Press, eine Mischung aus Sensationspresse und den Artikeln aus der Rubrik „Vermischtes“ der Tageszeitungen. Die gleichnamige Ausstellung Yellow Press, die noch vom Fotografen persönlich zusammengestellt und erstmals 2002 in seiner damaligen Züricher Galerie de Pury & Luxembourg präsentiert wurde, ist eine ungewöhnliche Melange aus unterschiedlichen Werkgruppen, entstanden zwischen 1973 und 2002. Darunter finden sich mehrere Bildserien, die zuvor nicht in den Büchern von Newton veröffentlicht worden sind, etwa eine Reihe, die er selbst „Self-Appropriation“ nannte, weiterhin eine Aktserie zum Thema „Lolita“, entstanden für den Playboy, oder eine Reportage im Auftrag von Paris Match über eine aufsehenerregende Gerichtsverhandlung in Monaco.

Helmut Newton, Yellow Press, Sequestrata, 1992

Newton hatte für die Ausstellung seinerzeit Magazinveröffentlichungen mit seinen Aufnahmen abfotografiert, teilweise ganze Seiten inklusive der Titelzeilen, gelegentlich sogar mit so genanntem Blindtext rund um das gedruckte eigene Bild – und anschließend in metergroße Fotoabzüge verwandelt. In dieser Idee der Selbstaneignung gehört auch die Bildserie auf den Spuren von Vladimir Nabokovs Lolita, die Newton Mitte der 1970er-Jahre für den amerikanischen Playboy in Florida aufnahm. In die Rolle der Kindfrau schlüpfte für Newton das damals 22-jährige Modell Kristine DeBell. Sie posierte meist nackt in unterschiedlichen Motels oder leicht bekleidet in einem amerikanischen Straßenkreuzer. Die Fotografien wurden als Bildgeschichte im August 1976 veröffentlicht, und Kristine DeBell wurde gleichzeitig mit einer berüchtigten pornographischen Version von Lewis Carrolls Alice in Wonderland unter der Regie von Bud Townsend international bekannt.

Die Reportage aus dem Jahr 2002 über den Prozess gegen Ted Maher, den ehemaligen Krankenpfleger des libanesisch-brasilianischen Bankiers Edmond Safra, würde man hingegen nicht gleich mit Helmut Newton in Verbindung bringen. Der Fotograf begleitete die Gerichtsverhandlung in Monte Carlo gegen Maher, der für den Tod seines Patienten im Dezember 1999 verantwortlich gemacht wurde, für das illustrierte Wochenmagazin Paris Match. Newton fotografierte rund um die Verhandlung im Stil eines Gerichtsreporters, schnell und in Farbe, teilweise mit den vorbeihuschenden Protagonisten nur im Bildanschnitt.

Im Fokus der rätselhaften, 18-teiligen S/W-Bildgeschichte The Woman on Level 4 steht eine junge Frau, die Newton in einem kleinen, fensterlosen Raum exponiert. Mal ist sie nackt und mit einer Metallkette gefesselt, mal sehen wir sie mit semi-transparentem BH und zugeklebten Augen, schließlich mit schwarzen Stilettos und einer automatischen Pistole oder mit dunkler Lederjacke bekleidet, mit einem altmodischen Telefon in der Hand. Zusammengenommen entspricht die Serie einer Art Kriminalgeschichte in Bildern ohne Anfang und Ende. Das Nicht-Mehr-Sehen-Wollen oder -Können der Frau mit verklebten Augen steht paradigmatisch für den leeren, abgeschlossenen Raum, eine seltsam klaustrophobische Bühne, auf der sich die junge Frau gewissermaßen um sich selbst dreht. In den letzten Aufnahmen der Serie hält das Modell einen englischsprachigen Zeitungsausriss in der Hand, der einen mysteriösen Mordfall im Jahr 1923 thematisiert, was die Zeitebenen in dieser Bildgeschichte völlig verschwimmen lässt. Tatsächlich fotografierte Newton die Bilder im Jahr 2000 in der Garage seines Apartmenthauses in Monaco. Der Fotograf hebelt eine chronologische Narration aus und spielt mit einer filmischen Assoziationskette, die zur jeweils nächsten Szene hart überblendet.

Helmut Newton, Yellow Press, The Woman who lives on level 4 , Monte Carlo, 2000
Helmut Newton, Yellow Press, Big Zipper II, Milano, 1988

Ein kurzer Werbefilm für den italienischen Reißverschlusshersteller Lanfranchi aus den 1980er-Jahren und die darauf beruhenden Polaroids, die Newton Jahre später vom Bildschirm abfotografierte, ergänzen die Yellow Press Ausstellung auf ungewöhnliche Weise, wählt er doch auch hier eine ironische Paraphrasierung einer Sadomaso-Phantasie. Newton arbeitet erneut wie ein Choreograph, indem er mit wenigen Accessoires geschickt ein Bühnengeschehen generiert und unseren voyeuristischen Blick auf Verzweiflung und Verkleidung, auf Intimität und Narzissmus lenkt. Macht und Eros und das Spiel mit der Gefahr sind häufige Begleiterscheinungen der Newton’schen Bildwelt. So vereint er Boulevard und Tragödie, es ist ein Theater- und ein Gesellschaftsstück, über dessen Ausgang der Regisseur Newton uns im Unklaren lässt.

Viele Bildmotive und künstlerische Ansätze, die uns in dieser Ausstellung begegnen, bereichern das Bild, das man von Newton und seinem Werk gemeinhin hat. Da es sich um die letzte von ihm selbst zusammengestellte Bildauswahl handelt, kommt Yellow Press einer Art Vermächtnis nahe. Im Spannungsfeld von Kunst und Kommerz hat Helmut Newton es stets vermocht, zu überraschen und zu provozieren. Er war mit seinem genreübergreifenden Werk ein ebenso intelligenter wie raffinierter Geschichtenerzähler im Hochglanzformat.