Parallel zur Ausstellung America 1970s/80s mit Werken von Evelyn Hofer, Sheila Metzner, Joel Meyerowitz und Helmut Newton zeigt die Helmut Newton Stiftung im Projektraum über 50 Fotografien von Stephan Erfurt, die in den 1980er-Jahren zwischen New York und der kalifornischen Pazifikküste entstanden sind. Die inhaltliche Verbindung zur Hauptausstellung im ersten Stock des Museums ist eng geknüpft, denn Erfurt assistierte zuerst Evelyn Hofer und ließ sich später von Joel Meyerowitz entscheidende Hinweise für eine eigene Werkgruppe geben.

Erfurts fotografischer Werdegang begann 1980 in Wien, wo er die Tänzer und Tänzerinnen des Opernballs beobachtete, und etwas später in Paris, wo er des Nachts die Musiker in den verzweigten Gängen der Metro porträtierte. Das Medium begann ihn bald so sehr zu faszinieren, dass er parallel Fotografie an der Gesamthochschule Essen studierte. Aber Paris war erst der Anfang; 1984 zog er weiter nach New York ins East Village, wo Erfurt in einem winzigen Loft lebte. Und Amerika war und blieb für den jungen Fotografen für fünf Jahre Schaffensort und Lebensmittelpunkt – bis zum Fall der Mauer.

Das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde Mitte der 1980er-Jahre zum Auftraggeber und Abnehmer seiner Bilder und Bildgeschichten aus den Straßen und Restaurants dieses legendären kulturellen Schmelztiegels und von seinen Reisen quer durch das riesige Land. Ob in New York, Miami, Las Vegas oder Los Angeles, überall entstanden intensiv recherchierte Reportagen für das FAZ-Magazin, häufig begleitet von Texten von Jordan Mejias. Angeregt durch Evelyn Hofer entstand beispielsweise 1985 die „Wall Street“-Serie, deren harte, scharf gezeichnete Hell-Dunkel-Kontraste auch heute noch begeistern.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen entstanden mit einem Polaroid-Diafilm an einem Sonntagmorgen, die sonst so quirlige Metropole wirkt völlig verlassen. Strukturen und Spuren im Asphalt, die wandernden Lichtpunkte, verursacht durch Lichtreflexionen der umliegenden Wolkenkratzer, und die am Straßenrand parkenden Autos füllen die menschenleere, geradezu dystopische Situation. In der parallel entstandenen Serie „New York Restaurants“ begegnen uns auch Menschen, die allerdings wieder in einer zeitlos-atmosphärischen Unschärfe verschwinden. Nur ein Jahr später taucht Erfurt, nach einem Gespräch mit seinem Kollegen Joel Meyerowitz, alles in Farbe; zunächst für eine zweite Restaurant-Serie in New York, seine erste Veröffentlichung im FAZ-Magazin, und kurz danach in Miami mit der dort so charakteristischen pastelligen Art-Deco-Farbigkeit. Ebenfalls 1986, in Las Vegas, sind die Farben nun noch klarer. Das natürliche Licht des Himmels strahlt auf den Aufnahmen genauso wie das künstliche Licht der farbigen Neonlampen der Motels und Spielhallen. Die gestalterischen Möglichkeiten der Farbdiafilme hat er wie nur wenige Kollegen ausgereizt, in den unterschiedlichsten Lichtsituationen, insbesondere frühmorgens in den Twilight-Aufnahmen, die zu seiner Spezialität wurden. Das verbindet ihn wiederum mit dem Werk von Joel Meyerowitz, dessen Aufnahmen der 1970er und 1980er-Jahre aus Provincetown mit ihrer intensiven Lokalfarbigkeit parallel im ersten Stock der Stiftung erstmals öffentlich gezeigt werden.

Erfurt war stets in der Lage, sich vor Ort perfekt auf die unterschiedlichen Situationen einzustellen – und auf den entsprechenden Auftrag. Parallel arbeitete er an freien Projekten, die er dem FAZ-Magazin anbot. Einige wurden angenommen, andere blieben unveröffentlicht, wie etwa die 1989er-Bildserie über den von ihm so genannten „Großstadtdschungel“, die das Ende seiner New Yorker Zeit markierte. Stephan Erfurt legte in seiner aktiven Zeit in Amerika Schwarz-Weiß- und Farbfilme unterschiedlicher Lichtempfindlichkeiten in seine Kameras ein, er wechselte zwischen Mittelformat und Kleinbild, parallel dazu verwendete er Polaroids.

Mit dem überraschenden Ende des FAZ-Magazin im Jahr 1999 verlor Erfurt auch den Hauptabnehmer seiner Fotografien und beendete zugleich sein rastloses Leben. Nur kurze Zeit später entwickelte er mit zwei Gleichgesinnten die Idee für einen neuen, zeitgemäßen Ausstellungsort für Fotografie: C/O Berlin. Inzwischen residiert die renommierte Institution im ehemaligen Amerika-Haus und bildet gemeinsam mit dem Museum für Fotografie ein deutschlandweit einmaliges Fotocluster – und diese Ausstellung manifestiert erneut die enge Verbindung der beiden Häuser.

Matthias Harder

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