Die Ausstellung Helmut Newton. Brands vereint über 200 Fotografien, darunter viele unbekannte Motive aus Newtons Kooperationen mit international renommierten Marken wie Swarovski, Saint Laurent, Wolford, Blumarine, Redwall oder Lavazza.

Der Fotograf unterschied kompositorisch und stilistisch nicht zwischen dem Zeitschrifteneditorial und den unmittelbaren Aufträgen solcher Kunden, vermittelt häufig über Werbeagenturen. Selbstironisch nannte er sich A Gun for Hire – und so hieß auch die posthume Ausstellung seiner kommerziellen Fotografie, die 2005 zunächst im Grimaldi-Forum in Monaco und anschließend in seiner Berliner Stiftung zu sehen war. Teil der Ausstellung war damals beispielsweise Newtons spektakuläre, groß angelegte und preisgekrönte Schwarz-Weiß-Anzeigenkampagne für Villeroy & Boch aus dem Jahr 1985. Die Handwasch- und Toilettenbecken zeigte Newton bei der Anlieferung in eine repräsentative Villa – hineingetragen von jungen Frauen – sowie in Innenräumen mit Figurenkonstellationen, die eher an Raymond Chandlers Kriminalromane als an Alltagsszenen erinnern. Auch hier besticht bereits die Ästhetisierung mal banaler, mal luxuriöser Produkte und eine erstaunliche Verschiebung herkömmlicher Verwendungszusammenhänge. Nur sehr wenige Fotografien aus der früheren Ausstellung zu Newtons kommerzieller Fotografie werden auch in Helmut Newton. Brands zu sehen sein, beispielsweise die großartige Schwarz-Weiß-Serie für Absolut Vodka mit Kristen McMenamy, die in Schweden im Jahr 2000 entstand.

Die aktuelle Präsentation knüpft an A Gun for Hire an, sie vereint Newtons Aufnahmen, die vor allem in den 1980er- und 90er-Jahren für zahlungskräftige Werbeagenturen und Industriekunden entstanden sind, und zwar meist in und um Monaco. In den vorderen drei Ausstellungsräumen begegnen uns Modebilder im Luxussegment, beispielsweise Newtons Versionen der damals aktuellen Mode von Yves Saint Laurent, Haute Couture oder Prêt-à-porter-Entwürfe. Die Inszenierungen sind von Saison zu Saison so unterschiedlich und individuell wie die Damenbekleidung selbst; jenseits aller Realitätsbezüge entführen sie uns zuweilen in ferne gedankliche und exotische Sphären.

In den beiden anderen Räumen werden Newtons Auftragsarbeiten für Wolford ausgestellt, die 1993 und 1994 als Kalender für exklusive Kunden publiziert wurden. Genutzt wurden Newtons Fotografien auch für Strumpfhosenverpackungen wie für riesige Formate auf Billboards, Linienbussen und Hausfassaden. Durch solche Größen- und Kontextverschiebungen verändert sich natürlich auch die Wirkung der Fotografien radikal, obwohl die Motive selbst die gleichen bleiben: Die Frauen in den Strumpfhosen und enganliegenden Bodys werden so mitunter zu Giganten im öffentlichen Raum. Die Kampagne in Schwarz-Weiß und Farbe fotografierte Newton mit mehreren Modellen in Monaco, meist in der Nähe des Meeres. Weiterhin finden sich in den ersten drei Räumen der Ausstellung Werbebilder unterschiedlicher Designer für die amerikanische Luxuskaufhauskette Neiman Marcus sowie Beispiele aus Newtons langjähriger, enger Zusammenarbeit mit Anna Molinari und deren Label Blumarine, unter anderem mit den Modellen Monica Bellucci, Carla Bruni oder Carré Otis, realisiert in Nizza und Monaco 1993 und 1994.

Für all diese Werbekampagnen gilt gleichermaßen: Bekannt wurden immer nur einige wenige ausgewählte Motive, die Newton zu Lebzeiten in seine Ausstellungen und Bücher integrierte. Helmut Newton. Brands bietet erstmals die Möglichkeit, innerhalb einer Ausstellung die gesamten Bildserien zu sehen.

Newton wurde über die Jahre zum Marketingexperten verschiedenster Produkte. Werbefotografien gehören wie selbstverständlich in unsere produkt- und markenorientierte Konsumwelt, sie sind allgegenwärtig und wichtiger Bestandteil einer jeden Unternehmensstrategie. Um gut zu funktionieren, müssen die Bilder möglichst überraschend sein, vor allem sollen sie uns verführen, letztlich zum Kauf des visualisierten Produktes. Diese auch in Newton gesetzten Ansprüche hat der Fotograf immer wieder sehr erfolgreich erfüllt, in einer Mischung aus zeitloser Eleganz und provokanter Überzeichnung. Manche frühen Beispiele angewandter Fotografie, etwa aus der Weimarer Republik von El Lissitzky, Jan Tschichold, Sasha Stone oder Albert Renger-Patzsch, gehören heute zu den Bildikonen des Neuen Sehens – und insofern zweifellos in den Kunstkontext. Diese Kontextverschiebung gilt teilweise auch für einige zeitlose Werbekampagnen Newtons, der allerdings stets darauf bestand, Fotograf und nicht Künstler genannt zu werden – eine Selbstzuschreibung, die allerdings inzwischen neu bewertet wird.

Auch im Hauptraum der Helmut Newton Stiftung sind weitere „neue“ Bildmotive zu entdecken: Aufnahmen, die Newton für die Tabakwarenfirmen Philip Morris und Dannemann, für den Turiner Kaffeeröster Lavazza, den italienischen Winzer Ca‘ del Bosco oder den österreichischen Heimwerkermarkt Bauwelt herstellte. Er fotografierte auch diese Motive in den 1980er- und 90er-Jahren, jeweils sehr individuell, an der Marke und ihren Angeboten orientiert und doch im „klassischen“ Newton-Stil. Auch in diesen konkreten Fällen wurden die Fotografien in Form von exklusiven, manchmal auch limitierten und nummerierten Wandkalendern vertrieben – und schnell zu teuer gehandelten Sammlerstücken. Eine Auswahl dieser Kalender ist seit Jahren in der Dauerausstellung „Helmut Newton‘s Private Property“ zu sehen, in Boxrahmen präsentiert. Allerdings ist dort jeweils nur ein Motiv sichtbar, das von Zeit zu Zeit ausgewechselt wird. Die Kalender wurden interessanterweise sehr unterschiedlich gefertigt, in verschiedenen Formaten, mit Spiralbindung oder als Abreißkalender, mal mit einem Motiv für zwei Monate, ansonsten meist klassisch mit zwölf wechselnden Bildmotiven für die Monate Januar bis Dezember. Für andere Kalender wiederum haben manche Werbekunden ausschließlich bereits existierende Newton-Motive verwendet, bei denen es sich natürlich nicht um klassische Werbefotografie handelte. Der Fotograf schien jedoch auch für diese Art der Distribution seiner Bilder sehr offen gewesen zu sein, wobei jede Verwendung und deren Dauer vertraglich zwischen der jeweiligen Werbeagentur und Newtons Agenten geregelt werden musste.

In den hinteren Ausstellungsräumen entdecken wir weitere Kollaborationen, u.a. mit dem Modeschmuckhersteller Swarovski, Volkswagen, dem Mischkonzern Asprey oder Chanel. Mitte der 1970er-Jahre realisierte Newton sogar zwei Werbefilme für das berühmte Parfüm Chanel No 5 mit Catherine Deneuve. Polaroids, analoge Kontaktbögen ausgewählter Werbe-Shootings, Look Books der Modekunden sowie einige Anzeigen in Magazinen sind in den Vitrinen ausgebreitet und verweisen auf die unterschiedliche Verwendung von Newtons Werbefotografie. Die Gegenüberstellung von ‚Fotografie als Werk‘ an den Wänden der Ausstellungsräume und die schlichte Übernahme des gleichen Bildmotivs im Werbekontext ist durchaus erhellend. Ein vergrößerter Abzug hier und eine Abbildung im Originalformat der Magazine oder Broschüren dort, inklusive Typografie und anderer grafischer Gestaltungselemente: Newtons Fotografien blieben meist unangetastet, wurden nicht überschrieben, sondern nur durch das Label des Klienten ergänzt, denn die Bildaussage war aussagekräftig genug.

Die Zusammenarbeit mit Modefirmen jenseits des Editorials begann in Newtons Werk bereits recht früh, von 1962 bis 1970 arbeitete er beispielsweise für Nino-Moden aus Nordhorn, das damals größte deutsche Textil-Unternehmen, oder 1968 für den Londoner Biba-Katalog. Im gleichen Jahr übernahm er einen Auftrag des französischen Automobilherstellers Citroën für eine Werbebroschüre der legendären Modellreihe DS. All dies findet sich in den Ausstellungsvitrinen wieder. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete Newton nicht nur für das Editorial verschiedenster Zeitschriften, sondern auch für Werbekampagnen. 2003 etwa für Alberta Ferretti in Monte Carlo, im gleichen Jahr entstand die unpublizierte Schwarz-Weiß-Kampagne für Tabletten gegen die erektile Dysfunktion namens Levitra®, einer Viagra-Variante des Pharma-Konzerns Bayer. Die Verwendung dieser letzten Werbefotos von Newton wurde allerdings aufgrund eines drohenden Rechtsstreits noch vor der Veröffentlichung gestoppt. Newton blieb bis zuletzt neugierig auf die nahezu unendlichen Möglichkeiten der Visualisierung unterschiedlichster Produkte. Dabei ignorierte er nicht nur moralische, sondern auch Genregrenzen: Aktaufnahmen wurden zu Werbemotiven für den spanischen Brandy Osborne Veterano, für den Volkswagen Beetle und für den Meisterstück-Füllfederhalter von Montblanc. Eine auf dem Boden liegende, vermeintlich leblose Frau in einer Garage warb für eine Prada-Tasche, die im Bildvordergrund platziert war – ein besonders prägnantes Beispiel des „Radical Chic“. Ein Selbstporträt schließlich von Helmut Newton mit Kamera auf dem Tisch und Ehefrau June an seiner Seite präsentierte den Hersteller von luxuriösen Armbanduhren Rolex. Jeder und jede spielte die entsprechende Rolle sehr gut.

Newton inszenierte solche Alltags- und Luxusprodukte jahrzehntelang und wurde mittels seiner visuellen Umsetzungen und deren Veröffentlichungen zum Verbindungsglied zwischen den Produzenten und Konsumenten. Auch in der Werbung geht es um Kommunikation, vermittelt über das Produkt-Abbild, und bei Newton kam stets eine überraschende Narration hinzu. Seine Bildgeschichten waren universell verständlich, konnten also problemlos in unterschiedlichen, nationalen Magazinen des gleichen Verlages veröffentlicht werden, gleichgültig ob als Editorial oder als Werbung. Vorbereitet wurden die erfolgreichen Inszenierungen häufig mit Polaroids. Newton nutzte sie, um sich der Wirkung seiner Bildkompositionen zu vergewissern und diese bereits während des Shootings mit den Designern, Werbeagenten oder Auftraggebern diskutieren zu können; davon zeugen Hunderte von Beispielen im Stiftungsarchiv und eine kleine Auswahl auch in den Ausstellungsvitrinen.

Alle beschriebenen und nahezu unbekannten Werkgruppen von Helmut Newton sind erstmals Bestandteil einer Überblicksausstellung zu seiner Werbefotografie. In diesem meist unterschätzten und gleichzeitig so wirkungsmächtigen Bereich angewandter Fotografie geht es um die zweckmäßige Visualisierung von konkreten Produkten, im Fall von Newton um Damenstrumpfhosen, Abendkleider, Kaffeepulver, Fernsehgeräte, Sägeblätter, Tafelsilber, Rotwein, Autos, Armbanduhren, Modeschmuck, Zigarren oder Potenzpillen. Mal werden die Gegenstände von Newton exponiert, ja sprichwörtlich auf einen Sockel gehoben, mal marginalisiert. Kann man den zu bewerbenden Gegenstand nicht sehen, sondern nur die vermeintliche Wirkung ahnen, beispielsweise im Falle von Parfüm, wird es zur „Mood-Photography“: Es wird also nur eine bestimmte Stimmung erzeugt, die den Leser oder die Leserin der Zeitschrift, in der das Werbebild abgedruckt ist, mit dem Produkt emotional verbinden soll. Newton beherrschte die gesamte Klaviatur stilistischer und inhaltlicher Möglichkeiten, so überzeugend wie nur wenige andere Kollegen und Kolleginnen. Er beeinflusste den Zeitgeschmack, ja mehr noch: seine Bilder formten den Zeitgeist über Jahrzehnte, mitunter definierten sie ihn neu. Ausgangspunkt für Newton war in den allermeisten Fällen der Umsetzung ein weibliches Modell, das sich etwas traut und mit den herrschenden Verhaltensnormen bricht. So verwandelte er auch in seiner illusionistischen Werbefotografie fiktive Bildgeschichten zu Realitätsmöglichkeiten. Ausgestattet mit einer Art „Carte blanche“ von vielen seiner Auftraggeber, inszenierte er sehr häufig im Grenzbereich des moralisch Erlaubten oder an der Schnittstelle zwischen Wahrheit und Lüge. In der Werbung musste er sich nicht an den eng gesteckten Regeln des Editorials orientieren, wie beispielsweise bei Arbeiten für die amerikanische Vogue, sondern konnte viel freier und radikaler komponieren.

Die Helmut Newton Stiftung versteht es weiterhin als eine ihre Aufgaben, im hauseigenen Archiv über die Sichtung von älteren Veröffentlichungen, Kontaktbögen mit Newtons handschriftlich ergänzten Markierungen und sogenannten „Work Prints“ nach relevanten Bildmotiven zu forschen und diese in thematischen Ausstellungen neu zu kontextualisieren. Die angewandte, kommerzielle Fotografie, die für Werbezwecke verwendet wurde, stellt einen der wichtigsten Aspekte in Newtons Werk dar. Und deshalb ist die aktuelle Ausstellung Helmut Newton. Brands mit zahlreichen unbekannten Fotografien im Hinblick auf die systematische Werkerschließung so wichtig.

Matthias Harder

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