Saul Leiter, David Lynch, Helmut Newton: NUDES ist die erste Ausstellung in der Geschichte der Berliner Helmut Newton Stiftung, die sich ausschließlich dem Genre Akt widmet.

Saul Leiter hat parallel zur Modefotografie und den Farbabstraktionen, aufgenommen in den Straßen von New York seit den 1950er-Jahren, auch Akt im Studio fotografiert. Die weiblichen Modelle waren Freundinnen oder Geliebte des Künstlers, der sie in seiner New Yorker Wohnung fotografierte, ja porträtierte; die Aufnahmen vergrößerte Leiter teilweise erst einige Jahre später. Es sind subtile, sensible, ja geradezu schüchterne Annäherungen an das Wesen und an den Körper der Frau.

Eine ähnliche Bildstimmung begegnet uns bei David Lynch und seinen Aktaufnahmen, die ein halbes Jahrhundert später entstanden sind, vor allem in Lodz und Los Angeles, die meisten ebenfalls in Schwarz-Weiß; einige wenige nahm der amerikanische Regisseur in Farbe auf. Es sind nahansichtige Körperbilder, häufig vollformatige, abstrakte Details, die wir erst auf den zweiten Blick mit einem menschlichen Körper in Verbindung bringen können. Seine fotografischen Nudes, mal Beobachtung, mal Pose, wirken mitunter vergleichbar mysteriös wie seine Filme, jedoch in den seltensten Fällen wie Standbilder.

Helmut Newton hat mit Aktfotografie in den 1970er-Jahren begonnen, diesseits und jenseits seiner Modebildproduktion, und bis zu seinem Lebensende 2004 auch in diesem Genre gearbeitet. Seine Serie Naked and Dressed, die den Übergang vom Mode- zum Aktbild in seinem Werk markiert, und die Big Nudes, entstanden ab 1980 vor allem in Paris, machten ihn weltberühmt – und inspirierten zahlreiche Kollegen und bildende Künstler zu Nachahmungen oder Neu-Interpretationen.

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Nudes

Matthias Harder

Die neue, dreiteilige Ausstellung Nudes ist die erste Präsentation in der Geschichte der Helmut Newton Stiftung, die ausschließlich dem Genre Akt gewidmet ist. Der nackte Körper gehört zur Kunst seit der berühmten Venus von Willendorf, die vor etwa 30.000 Jahren von einem unbekannten Künstler erschaffen wurde, vielleicht sogar als Selbstporträt einer Künstlerin, und auch in der Fotografie, dem ältesten der neuen Medien, taucht das Aktbild bereits in der Pionierzeit auf, also ab 1839. Seitdem hat sich eine ganz besondere Kombination von Exhibitionismus und Voyeurismus vor den Kameralinsen Tausender von Fotografen entwickelt – mal realistisch, mal inszenierend. Die drei in der Ausstellung vorgestellten Fotografen gehören zu den einfühlsamsten, experimentellsten und prägendsten Aktfotografen des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Saul Leiter, Untitled, c. 1950 © Saul Leiter Foundation, courtesy Howard Greenberg Gallery

Saul Leiter (1923–2013) hat parallel zu seiner Modefotografie für Harper’s Bazaar und den Farbabstraktionen, die seit den 1950er-Jahren in den Straßen New Yorks entstanden, auch Aktbilder im Studio inszeniert. Diese stillen und intimen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Leiter in der eigenen Dunkelkammer entwickelte, blieben zu seinen Lebzeiten gewissermaßen unter Verschluss, nur wenige Freunde kannten sie. Die weiblichen Modelle waren Freundinnen oder Geliebte des Künstlers, der sie in seiner New Yorker Wohnung, im gegebenen Raumgefüge und mit den vorhandenen Accessoires, porträtierte; es waren keine beauftragten professionellen Akt-Modelle. Sie kollaborierten geradezu verschwörerisch mit dem Fotografen und brachen das häufig so dualistische Prinzip von Voyeurismus und Exhibitionismus zugunsten eines spielerischen Miteinanders auf. Häufig blickte Leiter mit seiner Kleinbildkamera durch die Raumfluchten seines Studio-Apartments und marginalisierte die Frauen, die mit ihren Körpervolumina schließlich nur einen winzigen Teil der Gesamtkomposition ausmachten. Sonst sehen wir die nackten Körper über Spiegel gebrochen und fragmentiert, ähnlich wie surrealistische Künstler einige Jahre zuvor ihre Porträts inszenierten, oder Leiter fotografierte andere Modelle, auf Sofas liegend, als würde er Aktgemälde von Pierre Bonnard zitieren. Saul Leiter kannte sich sehr gut in dessen Werk wie auch grundsätzlich in der Kunstgeschichte aus – und schien manche ikonische Aktmalerei mal subtil, mal unmittelbar ins Medium Fotografie übersetzen zu wollen.

Seit seinem Tod im Jahr 2013 werden die unterschiedlichen Aspekte seines Werkes von der Direktorin der Saul Leiter Foundation, Margit Erb, aufgearbeitet, publiziert und teilweise auch neu editiert. So entstand im Frühjahr 2018 im Steidl-Verlag eine Publikation zu der beschriebenen Aktserie unter dem Titel In My Room, im Sommer 2018 zeigte die New Yorker Howard Greenberg Gallery eine Ausstellung ausgewählter Akt-Motive – und nun, ab Winter 2018, ist in der Helmut Newton Stiftung erstmals überhaupt eine Präsentation in diesem Umfang zu sehen, mit über 200 Vintage oder Late Prints von Leiters bislang relativ unbekanntem Akt-Werk.

Etwa die eine Hälfte dieser Bildauswahl hängt gerahmt an der Wand, die andere liegt als Bildschnipsel, vom Fotografen selbst fragmentiert, in einer Ausstellungsvitrine. Diese winzigen Silberprints mit ihren amorphen Risskanten bilden dort gewissermaßen eine eigene, zweite Ausstellung en miniature. Teilweise sind es die gleichen Bildmotive, die etwas dunkler abgezogen, im vollen Format und weißen Passepartout an der Wand hängen, es sind aber auch Mode- oder Straßenaufnahmen inklusive eines Polaroids, also bekleidete Personen, die die Nacktheit an den Wänden des Ausstellungsraumes interessant kontrastieren. Zusätzlich werden die zehnteilige, zeitlose Farbbildserie einer halbnackten jungen Frau auf der Terrasse eines Hauses am Meer, aufgenommen 1958 in Lanesville, Massachusetts, sowie 15 von Leiters handkolorierte Schwarz-Weiß-Abzüge unterschiedlicher Formate gezeigt, die auf seine intensive Beschäftigung auch mit dem Medium Malerei verweisen. In seinem New Yorker Nachlass befinden sich auch zahlreiche abstrakte Gemälde, und das Übermalen der kleinformatigen Silbergelatineabzüge verwandelt das darunterliegende Bildmotiv gelegentlich ebenfalls in eine Farbabstraktion. So etwas wurde bisher noch nie in der Helmut Newton Stiftung ausgestellt. Doch in erster Linie sehen wir in diesem Ausstellungsteil kleinformatige Akt-Porträts einer oder mehrerer Frauen, die auf Sofas und Betten liegen oder im Gegenlicht zur Silhouette werden, die gedankenverloren rauchen, die sich mit größter Natürlichkeit an- oder auskleiden, die lächelnd oder verführerisch für Leiters Kamera posieren; dabei sind nicht alle Modelle nackt, doch dies macht in dem ausgewählten Bildkonvolut überraschenderweise kaum einen Unterschied. Es sind subtile, sensible, ja geradezu schüchterne Annäherungen an das Wesen und an den Körper der Frau.

Eine ähnliche Bildstimmung wie bei Saul Leiter begegnet uns mitunter auch bei den Aktaufnahmen von David Lynch (*1946), die ein knappes halbes Jahrhundert später, vor allem in Lodz und Los Angeles, entstanden sind und ebenfalls zunächst in Buchform im Verlag der Pariser Fondation Cartier (Nudes, 2016) veröffentlicht wurden. Es sind abstrakte Körperbilder, gelegentlich vollformatige Details, die meisten in Schwarz-Weiß, einige wenige in Farbe, die wir manchmal erst auf den zweiten Blick mit einem menschlichen Körper in Verbindung bringen. Lynch wählte während des Arbeitsprozesses ungewöhnliche Perspektiven und Licht-Schatten-Kontraste sowie anschließend ein großes Bildformat, das die weiblichen Modelle annähernd lebensgroß erscheinen lässt; die 22 ausgewählten Motive sind erstmals und exklusiv für die Berliner Ausstellung zusammengestellt und vergrößert worden. Lynchs Aktaufnahmen entstehen parallel zu und autonom von seinem filmischen Werk, in dem gelegentlich ebenfalls sexuelle Anspielungen und Handlungen zu sehen sind. Seine fotografischen Nudes – mal Beobachtung, mal Pose – wirken vergleichbar mysteriös wie seine Filme. Kaum ein Besucher wird das filmische Werk vor dem inneren Auge wohl ausblenden können, wenn er Lynchs Berliner Ausstellung sieht. Seine großformatigen Aktfotografien werden auf einem lilafarbigen Fonds präsentiert, der Lynchs Film Blue Velvet assoziieren lässt. Wir scheinen Lynchs vorsichtiges, ja zartes Umkreisen und Untersuchen des weiblichen Körpers mit der Fotokamera sogar noch in der Bildbetrachtung zu spüren; solche Imaginationen sind wohl nur mit dem Medium Fotografie möglich. Die Intimität – oder vielmehr die Illusion einer Intimität – entsteht hier durch die Motivik einer extrem nahansichtigen, geradezu taktilen Körperlichkeit, auch wenn wir nur einen nackten Oberschenkel, eine Schulter oder einen Arm im Bildanschnitt sehen. Die fotografierten, namenlosen Frauen sind – im Gegensatz zu dem Bildpersonal Leiters – professionelle Modelle, die in einem undefinierbaren Bildraum posieren, nur eine rekelt sich rauchend und verführerisch auf einem Sofa, einmal in Schwarz-Weiß, ein zweites Mal in Farbe, wobei auch hier der Innenraum geradezu kinematografisch unscharf und unkonkret bleibt.

David Lynch, Untitled, Lodz, 2000s © David Lynch
Helmut Newton, Bergstrom over Paris, Paris, 1976

Anders als David Lynch zeichnete Helmut Newton die Aufnahmeorte seiner Mode- und Aktbilder immer wieder genau nach, stilisierte sie mitunter ebenso wie die Modelle in seinen Aufnahmen, sei es ein panoramatischer Ausblick auf die Stadt Paris als mediale Transformation eines Velasquez-Gemäldes , die lang gezogene Treppe in seinem Pariser Wohnstudio oder ein Zimmer in der Berliner Pension Florian mit einer ziemlich verruchten Historie. Newton begann mit der Aktfotografie in den 1970er-Jahren, diesseits und jenseits seiner Modebildproduktion, und hat bis zu seinem Lebensende 2004 regelmäßig in diesem Genre gearbeitet. Seine Serie Naked and Dressed, die den Übergang vom Mode- zum Aktbild in seinem Werk markiert, und die Big Nudes machten ihn Anfang der 1980er-Jahre weltberühmt und inspirierten zahlreiche Kollegen und bildende Künstler zu Nachahmungen oder Neu-Interpretationen. Bis zu seinem Tod schuf er ein unvergleichliches, rätselhaftes Werk voll subtiler Verführung und zeitloser Eleganz – auch und besonders im Akt-Genre, mit dem er manch gängige Tabus verschob oder ignorierte. Es wurde immer wieder, ganz im Gegensatz zum Aktbildwerk Leiters, bereits zu seinen Lebzeiten publiziert, teilweise entstand es sogar im Auftrag von Magazinen wie Playboy oder Oui. Zudem gelang es Newton, manche seiner frei entstandenen Aktaufnahmen in Mode- und Lifestyle-Magazinen unterzubringen. Die aktuelle Präsentation vereint mehr als 70 solcher Ikonen aus seinen bekannten Ausstellungen und Projekten, etwa Helmut Newton’s Illustrated: Pictures from an Exhibition, White Women, Sleepless Nights, Big Nudes, Sex and Landscapes, Work oder Us and Them, sowie etwa 30 bislang ungezeigte Werke aus dem Stiftungsarchiv, darunter zahlreiche Original-Polaroids in einer Vitrine. Mit diesen bereitete er – in den 1970er- und 1980er-Jahren, also in der vordigitalen Zeit des Mediums – seine finalen Bildkompositionen vor, in der Mode- wie der Aktfotografie. Gezeigt werden ganz unterschiedliche Aktaufnahmen von Newton: Porträts nackter Menschen an Swimmingpools, raffinierte Aufnahmen unbekleideter Schaufensterpuppen und andere modebasierte Aktbilder, halbnackte Modelle mit orthopädischen Stützprothesen, amüsante Interaktionen zwischen Mann und Frau oder provokante Inszenierungen sexueller Obsessionen in weiblicher Besetzung, die in unserer Rezeption vielen Imaginations- und Assoziationsmöglichkeiten Platz lassen.