Eine Kunstsammlung verrät viel über den Sammler oder die Sammlerin selbst; es ist eine Art Selbstporträt, und das gilt auch für Carla Sozzani und ihre Vorlieben und Freundschaften.

Carla Sozzani, frühere Chefredakteurin der italienischen Elleund Vogue, hat über viele Jahre Fotografien gesammelt – und seit 1990 in ihrer Mailänder Galerie in enger Verbindung mit zahlreichen renommierten Fotografen auch ausgestellt, u.a. viermal Helmut Newton: Ritratti di donna (1993), Impressions, Polaroids (1996), Us and Them (1999), zusammen mit Alice Springs, und Yellow Press (2003).

Die persönliche Freundschaft zwischen Sozzani und Newton mündet nun in der Präsentation der vielschichtigen Sozzani-Sammlung in der Helmut Newton Stiftung: Between Art & Fashion wird nach Stationen in Paris und der Schweiz in neuer Zusammenstellung erstmals in Deutschland gezeigt und hält neben zahlreichen Bildikonen einige Überraschungen bereit. Thematisch auf den aktuellen Ausstellungsort abgestimmt, werden manche Fotografen mit nur einer Arbeit präsentiert, andere mit einem kleinen Konvolut.

In June’s Room sind anlässlich des 95. Geburtstages von June Newton alias Alice Springs knapp 30 teilweise noch nie gezeigte Porträts zu sehen, die aus dem Stiftungsbestand ausgewählt wurden.

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Between Art & Fashion

Matthias Harder

Carla Sozzani, frühere Chefredakteurin der italienischen Elle und Vogue, hat über viele Jahre Fotografien gesammelt – und seit 1990 in ihrer Mailänder Galerie in enger Verbindung mit zahlreichen international renommierten Fotografen auch ausgestellt, unter anderem Helmut Newton insgesamt viermal: 1993 (Ritratti di donna), 1996 (Impressions, Polaroids), 1999 (Us and Them, gemeinsam mit Alice Springs) und 2003 (Yellow Press). Die Galerie Carla Sozzani ist bis heute Bestandteil des von ihr gegründeten ersten Concept Stores überhaupt, der 1991 eröffnet wurde: 10 Corso Como, mit Hauptsitz im Zentrum Mailands, inzwischen mit Ablegern in China, Korea und den USA, befindet sich seit 2016 unter dem Dach einer Stiftung, der Fondazione Sozzani.

Erwin Blumenfeld, Le Décolleté, Victoria von Hagen, New York, 1952 © The Estate of Erwin Blumenfeld

Seit der Galeriegründung vor 28 Jahren organisierte Carla Sozzani Hunderte von Fotografie-Ausstellungen, u.a. von Annie Leibovitz, Sarah Moon, David Bailey, Hiro oder David LaChapelle zu sehen; darüber hinaus finden in der Galerie Carla Sozzani regelmäßig Ausstellungen zu Architektur und Design statt, etwa zum Werk von Carlo Mollino, Verner Panton oder Yayoi Kusama und schließlich Modepräsentationen, u.a. von Pierre Cardin, Courrèges oder Paco Rabanne.

Die persönliche Freundschaft zwischen Sozzani und Newton mündet nach den Newton-Ausstellungen in Mailand nun auch in einer Präsentation der vielschichtigen Fotosammlung von Carla Sozzani in der Helmut Newton Stiftung, die nach Stationen in Paris und Le Locle erstmals in Deutschland zu sehen ist. Ausgewählt wurden für Between Art & Fashion über 200 Fotografien aus dem Sammlungsbestand, der annähernd 1000 Werke umfasst, darunter auch Fotografien von Helmut Newton und Alice Springs. Die Sammlung ist aber nicht nur auf Modebilder beschränkt, sondern beinhaltet auch Fotoexperimente von Berenice Abbott und Duane Michals, Akt-Porträts von Francesca Woodman und Daido Moriyama sowie Stillleben von Man Ray und William Klein. Viele Bildmotive ihrer Sammlung sind figurativ, und die Figuren meist weiblich; so schließt sich der Kreis wiederum zur Mode, Carla Sozzanis paralleler Leidenschaft. Das Besondere eines Modebildes, Individualität und Zeitgeist zu visualisieren und zu definieren, findet sich hier immer wieder in Reinform, etwa bei Lillian Bassman und Erwin Blumenfeld, bei Steven Meisel und Jean-Baptiste Mondino. Innerhalb der Berliner Präsentation ragen vier Kooperationen heraus: zwischen Carla Sozzani und Paolo Roversi, Sarah Moon, Bruce Weber und Helmut Newton, jeder wird entsprechend viel Ausstellungsraum eingeräumt, u.a. mit den entsprechenden Werken als Ausstellungsprints, aber auch mit Arbeitsfotos und Kontaktbögen der gemeinsamen Modeshootings.

Normalerweise hängt Sozzanis bedeutende und wertvolle Privatkollektion, die weniger systematisch als vielmehr subjektiv zusammengestellt worden ist, in ihrem großzügigen Büro, direkt hinter den Ausstellungsräumen ihrer Galerie, die gerahmten Bilder in mehreren Reihen dicht an dicht bis an die Raumdecke gehängt. Carla Sozzani selbst ist auch selbst zum Modell für die Fotografen geworden, etwa für Dominique Isserman, der sie bei Azzedine Alaïa porträtierte, für Bruce Weber, der sie gleich mehrfach mit Schmuckentwürfen ihres Partners Kris Ruhs aufnahm, sowie für Helmut Newton und Alice Springs. Manche dieser Porträts sind ebenfalls Bestandteil der Ausstellung. Eine Kunstsammlung verrät viel über den Sammler oder die Sammlerin selbst; es ist eine Art Selbstporträt, und das gilt auch für Carla Sozzani und ihre Vorlieben und Freundschaften. Ihr geht es – anders als den institutionellen Sammlungen – nicht um ein möglichst enzyklopädisches und vollständiges Abbild des internationalen fotografischen Kunstschaffens, sondern um eine individuelle Annäherung. Fotografie ist für sie Kommunikation, reproduziert in einer Modezeitschrift oder als fotografischer Abzug in ihrem Büro respektive innerhalb einer Ausstellung. Wir spüren hier eine besondere Intuition für das herausragende Einzelwerk, gelegentlich auch für eine Bildserie. So entstand über viele Jahre eine heterogene Sammlung, mit Fokus auf klassische Schwarz-Weiß-Fotografie, die wie ein Blick zurück in eine vergangene Zeit wirkt.

Between Art & Fashion, initiiert als Ausstellung von Azzedine Alaïa, hält neben zahlreichen Bildikonen auch zahlreiche Überraschungen bereit. Einige Fotografen werden mit nur einer Arbeit präsentiert, andere mit einem kleinen Konvolut. In dieser Auswahl geht es nicht um Vollständigkeit, sondern um Authentizität und Sichtbarmachung, um die Qualität autonomer und repräsentativer Bilder – hier thematisch auf den Berliner Ausstellungsort und seine Ausrichtung auf Mode-, Akt- und Porträtfotografie abgestimmt.

In „June’s Room“ der Helmut Newton Stiftung schließlich sind anlässlich des 95. Geburtstages von June Newton alias Alice Springs über 30 teilweise noch nicht gezeigte Porträts zu sehen, die aus dem Stiftungsbestand ausgewählt wurden: Im Kontext und als Ergänzung zur Sozzani-Sammlung sind es vor allem Künstler, Fotografen und Modedesigner.

Alice Springs hat seit den 1970er-Jahren ein eigenständiges fotografisches Werk geschaffen; die Liste der von ihr porträtierten Künstler, Schauspieler und Musiker liest sich wie ein Who’s who der internationalen Kulturszene aus den vergangenen vierzig Jahren diesseits und jenseits des Atlantiks, von Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld über Billy Wilder und Diana Vreeland bis zu den Hell’s Angels; die Mehrzahl entstand – meist bei natürlichem Licht – im öffentlichen Raum sowie vor oder in den Wohnungen der Protagonisten. Auch wenn die meisten der von ihr Porträtierten zum Jetset gehören, macht Alice Springs grundsätzlich keinen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Manche Aufnahmen sind im Auftrag für Zeitschriften entstanden, andere aus freiem Antrieb. Mit Sicherheit hilft ihr, der ausgebildeten Schauspielerin, die tiefe Kenntnis des Schauspiels, gleichzeitig auf und hinter die Fassade des Menschlichen zu schauen. Und so ergänzt sie mit ihren unmittelbaren und intensiven Porträts unser Bild, das wir von manchem Star im Kopf haben, auf ganz ungewöhnliche Weise.

Alice Springs, Diana Vreeland, Paris, 1983