June Newton hat von 1970 an unter dem Pseudonym Alice Springs ein eigenständiges fotografisches Werk geschaffen. Seit 2005 wird es regelmäßig in wechselnden Ausstellungen der Helmut Newton Stiftung in „June’s Room“ präsentiert. Die Retrospektive Alice Springs in Berlin erlaubte erstmals einen umfassenden Blick auf das vier Dekaden umspannende Gesamtwerk; gezeigt wurden Werbe- und Modebilder sowie Aktfotografien und Porträts.
Am Anfang des eigenen Œuvres stand eine Grippe ihres Mannes. June Newton ließ sich von ihm die Handhabung von Kamera und Belichtungsmesser erklären und fotografierte 1970 in Paris anstelle des eigentlich gebuchten Helmut Newton ein Werbebild für die französische Zigarettenmarke Gitanes. Das Porträt des rauchenden Models. war der Startschuss für eine neue Karriere. Anfang der 1970er Jahre fotografierte Alice Springs mehrere Kampagnen für den französischen Haarstylisten Jean Louis David; die Werbebilder erschienen – unter Nennung ihres Namens – als ganzseitige Anzeigen in renommierten Modezeitschriften. Und 1974 war das erste Alice-Springs-Motiv auf dem Cover der französischen Elle zu sehen.
Ab Mitte der siebziger Jahre kamen zahlreiche Porträtaufträge hinzu, und so entstanden teilweise ikonische Aufnahmen. Die Liste der von Alice Springs porträtierten Künstler, Schauspieler und Musiker liest sich wie ein who’s who der internationalen Kulturszene aus den vergangenen vierzig Jahren diesseits und jenseits des Atlantik. Manche Aufnahmen sind im Auftrag für Zeitschriften zwischen Paris und Los Angeles entstanden, andere aus freiem Antrieb.
Alice Springs dokumentiert nicht allein das Aussehen der Prominenten oder der namenlosen Zeitgenossen, sondern fängt deren Ausstrahlung, mitunter deren Aura ein. Ihren Blick für und auf die Menschen konzentriert sie meist auf deren Gesichter; zuweilen fasst sie sie im engen Bildausschnitt als Brust- oder Dreiviertelporträt, dann bekommen auch die Hände eine besondere Bedeutung. Möglicherweise hilft ihr die tiefe Kenntnis des Schauspiels, gleichzeitig auf und hinter die Fassade des Menschlichen zu schauen. Das gilt insbesondere für ihre Doppelporträts, in denen die Interaktion der Protagonisten – wie auf einer Bühne – geradezu inszeniert ist.
Wir entdecken in den Bildern eine gewisse Vertrautheit, vermeintlich zumindest; tatsächlich schwanken sie zwischen Distanz und Nähe. Es begegnet uns in ihren subtilen Porträts ebenso die eitle Pose oder ein natürliches Selbstbewusstsein wie der schüchterne Blick. Dramatische Posen sind selten, und der Arbeitsprozess wird auch nicht von großen Gesten der Fotografin begleitet. Ihre Bildnisse werden zu visuellen Kommentaren, zu Interpretationen der Dargestellten.
Werkauswahl
Alice Springs
Matthias Harder
June Newton hat von 1970 an unter dem Pseudonym Alice Springs ein eigenständiges fotografisches Werk geschaffen. Seit 2005 wird es regelmäßig in wechselnden Ausstellungen in der Helmut Newton Stiftung präsentiert, und zwar in „June’s Room“. Die Retrospektive in Berlin erlaubte erstmals einen umfassenden Blick auf das vier Dekaden umspannende Gesamtwerk; gezeigt wurden Werbe- und Modebilder sowie Aktfotografien und Porträts.
Am Anfang des eigenen Oeuvres stand eine Grippe ihres Mannes. June Newton ließ sich von ihm die Handhabung von Kamera und Belichtungsmesser erklären und fotografierte 1970 in Paris anstelle des eigentlich gebuchten Helmut Newton ein Werbebild für die französische Zigarettenmarke Gitanes. Das Porträt des rauchenden Models war der Startschuss für eine neue Karriere. Zuvor hatte die ausgebildete Theaterschauspielerin, die in Frankreich wegen der Sprachbarrieren kaum Aussicht auf ein Engagement besaß, von ihrem Mann Pinsel und Leinwand geschenkt bekommen und autodidaktisch zu malen begonnen. José Alvarez, der damals in Paris eine Werbeagentur leitete, vermittelte ihr in der Folgezeit Aufträge für Werbefotografien von pharmazeutischen Produkten. Und Alvarez, inzwischen Chef der Editions du Regard, war es auch, der 1983 ihren ersten Porträtband verlegte.
Ab Mitte der siebziger Jahre waren zahlreiche Porträtaufträge hinzugekommen und teilweise ikonische Aufnahmen entstanden. Die Liste der von Alice Springs porträtierten Künstler, Schauspieler und Musiker liest sich wie ein Who’s who der internationalen Kulturszene aus den vergangenen vierzig Jahren diesseits und jenseits des Atlantik – von Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld über Billy Wilder, Diana Vreeland, Gerhard Richter bis zu den Hell’s Angels. Auch wenn die meisten der von ihr Porträtierten zum Jetset gehören, macht sie doch grundsätzlich keinen Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Schichten. Manche Aufnahmen sind im Auftrag für Zeitschriften zwischen Paris und Los Angeles entstanden, andere aus freiem Antrieb. Obwohl sie mitunter näher herangeht und spontaner auf überraschende Aufnahmesituationen reagiert als mancher Kollege – und deshalb einige Zeitgenossen im Porträtfoto verletzlicher erscheinen –, lässt Alice Springs jedem Einzelnen seine Individualität.
So können wir der Fotografin ein großes Kommunikationstalent und eine erstaunliche psychologische Einfühlungsgabe konstatieren, ansonsten wäre eine solche Intensität im Ausdruck der unterschiedlichen Künstlercharaktere schlicht unmöglich. Viele Künstler – wie auch andere im Rampenlicht stehende Prominente – sind bekanntlich recht eitel. Sie müssten sich eigentlich auf Sitzungen mit einem Fotografen freuen, kann er doch deren Ruhm mit einer Veröffentlichung des Porträts in einer renommierten Zeitschrift mehren. Gelegentlich kommt es aber auch zu einer Art Duell zwischen dem Fotografen und seinem Modell, wenn die Kamera zur Waffe wird. Grundsätzlich wird der schöpferische Geist beim Porträtieren in eine passive Rolle gedrängt. Und der Fotograf muss – jenseits des bloßen Dokumentierens – etwas Besonderes erschaffen, um dem allgemeingültigen und bekannten Bild des Künstlers ein möglichst klischeefreies, neues und ungewöhnliches Abbild hinzuzufügen. Alice Springs gelingt dies immer wieder neu. Möglicherweise hilft ihr die tiefe Kenntnis des Schauspiels, gleichzeitig auf und hinter die Fassade des Menschlichen zu schauen. Das gilt insbesondere für ihre Doppelporträts, in denen die Interaktion der Protagonisten – wie auf einer Bühne – geradezu inszeniert ist.
Sie dokumentiert nicht allein das Aussehen der Prominenten oder der namenlosen Zeitgenossen, sondern fängt deren Ausstrahlung, mitunter deren Aura ein, und der wortlose Dialog, der gelegentlich zu solch außergewöhnlichen Porträts führt, scheint auf einer Art Seelenverwandtschaft zu fußen. Ihren Blick für und auf die Menschen konzentriert sie meist auf deren Gesichter; zuweilen fasst sie sie im engen Bildausschnitt als Brust- oder Dreiviertelporträt. Dann bekommen auch die Hände eine besondere Bedeutung. Die Porträtierten schauen neugierig, offen und direkt in ihre Kleinbildkamera – das bleibt relativ selten in der zeitgenössischen Fotografie. Nur wenige Studioporträts sind darunter, die Mehrzahl entstand vielmehr – meist bei natürlichem Licht – im öffentlichen Raum sowie vor oder in den Wohnungen der Protagonisten. Wir entdecken in den Bildern eine gewisse Vertrautheit, vermeintlich zumindest; tatsächlich schwanken sie zwischen Distanz und Nähe. Es begegnet uns in ihren subtilen Porträts ebenso die eitle Pose oder ein natürliches Selbstbewusstsein, wie der schüchterne Blick. Dramatische Posen sind hingegen selten, und der Arbeitsprozess wird auch nicht von großen Gesten der Fotografin begleitet. Ihre Bildnisse werden zu visuellen Kommentaren, zu Interpretationen der Dargestellten. Dabei geht es der Fotografin trotz aller Nähe und Eindringlichkeit nie um ein Bloßstellen der jeweiligen Person.
Davor, also Anfang der 1970er Jahre, fotografierte Alice Springs mehrere Kampagnen für den französischen Haarstylisten Jean Louis David; die Werbebilder erschienen – unter Nennung ihres Namens – einige Jahre lang als ganzseitige Anzeigen in renommierten Modezeitschriften wie Elle, Vogue, Marie Claire, Nova oder Cosmopolitan. Modebilder im Editorial der Zeitschrift Dépèche Mode entstanden seit 1971, und drei Jahre später war das erste Alice-Springs-Motiv auf dem Cover der französischen Elle zu sehen. Ausgewählte Motive ihrer frühen Werbe- und Modefotografie standen deshalb am Beginn dieser Retrospektive; meist stellt sie selbstbewusste junge Frauen in das Zentrum ihrer Bildwelt. Sie begegnen uns auch in Alice Springs’ teilweise provokanten Aktaufnahmen aus den 1970er Jahren: (vermeintlich) lesbische Paare, die sie beim lustvollen Spiel miteinander zeigt.
In der Konsequenz wurden nicht nur ihre bekannten Porträts, sondern ebenso die frühen Werbe- und Modebilder sowie die Akte in dieser ersten Übersicht des Gesamtwerks mit etwa 250 Aufnahmen gezeigt. Bewusst verzichtet hat die Fotografin in ihrer repräsentativen Werkschau auf die zahlreichen Selbstporträts und Porträts ihres Mannes, die bereits zur Eröffnung des Museums im Juni 2004 in der gemeinsamen Ausstellung Us and Them präsentiert wurden.
Helmut und June Newton, damals noch June Browne, lernten sich 1946 in Melbourne kennen und lieben. Ein Jahr später heirateten sie. 1956 gingen beide für ein Jahr nach London, wo Helmut Newton eine feste Anstellung als Fotograf der englischen Ausgabe der Vogue bekam, kehrten noch einmal nach Australien zurück, um ab 1961 für immer nach Europa zu übersiedeln: Es folgten zwei Jahrzehnte Paris, ab 1981 Monaco und Los Angeles.
An diesen Orten entstanden nicht nur die meisten Aufnahmen von Helmut Newton, sondern auch von Alice Springs. Sie begleitete ihren Mann darüber hinaus regelmäßig auf seinen Reisen, beispielsweise nach Hawaii, wo sie ihn beim Modeshooting fotografierte, wie wir hier erstmals sehen können. So schloss und schließt sich der Kreis gleich mehrfach; das Leben und das Werk der beiden war vielfältig miteinander verbunden.