Erstmals in Deutschland wurde der Paparazzi-Fotografie eine so umfangreiche Präsentation gewidmet. Die Ausstellung Pigozzi and the Paparazzi in der Helmut Newton Stiftung konzentrierte sich in erster Linie auf Prominentenportraits der „klassischen“ Zeit der Paparazzi, den 1960er und 1970er Jahren, sowie – der Intention der Paparazzi folgend – auf die Entmythisierung der Stars im Alltagsleben.
So begegnen wir Alain Delon und Prinz Charles, Mick Jagger und Woody Allen, Sophia Loren und Grace Kelly, Brigitte Bardot und Marlene Dietrich auf Partys, auf der Straße oder am Strand. In kaum einer der Aufnahmen blieb Zeit für eine Pose; meist sind sie „aus sicherer Entfernung“ unbemerkt entstanden, gelegentlich kam es aber auch zu Handgreiflichkeiten zwischen den Jägern und den Gejagten, falls jene entdeckt wurden. So verlor Ron Galella bei einem gezielten Schlag Marlon Brandos beispielsweise mehrere Zähne; später setzte sich jener beim Wiedersehen auf öffentlichen Veranstaltungen häufig einen Helm auf, wie er beim American Football getragen wird.
Mit etwa 350 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien von Salomon, Weegee, Galella, Quinn, Angeli, Secchiaroli, Pigozzi sowie Newton werden in dieser Ausstellung Vorläufer wie Hauptvertreter der Paparazzi-Fotografie präsentiert. Gleichzeitig wird das Phänomen künstlerisch kommentiert und paraphrasiert, etwa von Helmut Newton, als er die Paparazzi in den Achtziger- und Neunzigerjahren auf dem Filmfestival von Cannes wieder ins Visier genommen hat – und diese ihn.
Grenzüberschreitungen zur Celebrity-Fotografie sowie zum Portrait gab es und wird es immer geben. Der Titel gebende Fotograf Jean Pigozzi hat aufgrund seines gesellschaftlichen Standes einen intensiven, mitunter intimen Zugang zu den Schönen und Reichen, den viele Paparazzi sich wünschen würden. Auch er dringt in Privatsphären ein, doch die Stars willigen in die fotografische Entlarvung meist mit einem Lächeln ein.
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Pigozzi and the Paparazzi
Matthias Harder
Erstmals in Deutschland wurde den Paparazzi, den „Bad Boys“ des Mediums Fotografie eine so umfangreiche Präsentation gewidmet. Die Paparazzi-Fotografie ist eine aggressive Spielart des Bildjournalismus, insbesondere heute, wenn Prominente aus dem „Show-Business“ gejagt und in gefährliche Situationen verwickelt werden, nur um an ein möglichst interessantes Bild zu kommen. In der „klassischen“ Zeit der Paparazzi, den 1960er und 1970er Jahren, war das Auflauern und Sich-Öffentlich-Zeigen, diese Mischung aus Voyeurismus und Exhibitionismus, weniger schrill und laut; allein die Kombination aus Erfindungsreichtum, Schnelligkeit oder Beharrlichkeit sowie einer Prise Frechheit – etwa in Cannes beim Filmfest oder an Roms Via Veneto – war bereits Garant für gute Bildergebnisse.
Die Ausstellung Pigozzi and the Paparazzi konzentrierte sich in erster Linie auf Prominentenportraits dieser Zeit sowie – der Intention der Paparazzi folgend – auf die Entmythisierung der Stars im Alltagsleben. So begegnen wir Alain Delon und Prinz Charles, Mick Jagger und Woody Allen, Sophia Loren und Grace Kelly, Brigitte Bardot und Marlene Dietrich auf Partys, auf der Straße oder am Strand. Meist sind diese Bilder „aus sicherer Entfernung“ unbemerkt entstanden, gelegentlich kam es aber auch zu Handgreiflichkeiten zwischen den Jägern und den Gejagten, falls jene entdeckt wurden. So verlor Ron Galella bei einem gezielten Schlag Marlon Brandos beispielsweise mehrere Zähne; später setzte sich jener beim Wiedersehen auf öffentlichen Veranstaltungen häufig einen Helm auf, wie er beim American Football getragen wird.
In kaum einer Aufnahme blieb Zeit für eine Pose, die meisten Stars wurden überrascht; ihre Bilder sind gewissermaßen „geraubt“. Die heutige Zeit bleibt innerhalb der Ausstellung bewusst ausgeklammert, da die fotografische Bildqualität der zeitgenössischen Paparazzi, deren Methoden immer brutaler werden, kaum mehr sichtbar ist. Illustrierte Zeitungen allerdings interessieren sich auch heute für diese Bilder, jenseits von Qualität und Originalität; was zählt ist die Sensation.
Die Paparazzi waren legendär und sind heute gefürchtet. Vielleicht begann alles mit Erich Salomon in den 1930er Jahren, der sich als ausgebildeter Jurist und fotografischer Autodidakt Zugang zu politischen Veranstaltungen verschaffte und vermutlich als erster unerkannt in Gerichten fotografierte, was damals (wie auch heute noch) verboten war und keiner vor ihm gewagt hatte. Salomon verwendete eine Kamera mit sehr lichtstarkem Objektiv, die er teilweise in der Aktentasche oder unter dem Mantel verbarg, und drang verbotenerweise in Gebäude ein, in denen sich beispielsweise hohe Politiker in der Zwischenkriegszeit des Nachts Gedanken machten über die Neuordnung Europas. Gelegentlich wurde er „erwischt“, aber kaum behelligt. So entstand eines seiner berühmtesten Bilder in dem Moment, als der damalige französische Außenminister Aristide Briand den „König der Indiskretion“, wie dieser Salomon nannte, 1931 im Außenministerium am Pariser Quai d’Orsay hinter einem Vorhang entdeckte. Heute wäre eine solche Aufnahme undenkbar.
In den USA hatte der österreichisch-ungarische Fotograf Arthur Fellig, der sich selbst den Namen Weegee gab, etwas später und vergleichbar ungewöhnlich gearbeitet, wenn er sich auch auf andere Motive konzentrierte. Weegee hörte beispielsweise den Polizeifunk ab und fotografierte, noch bevor die Polizeistreifen am Tatort waren, Erschossene, die in New Yorks nächtlichen Straßen lagen, brennende Häuser und andere Katastrophen. Gleichzeitig zog es ihn zu denjenigen hin, denen das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ nicht viel bot, etwa den Obdachlosen und Trinkern in der Bowery, die er mit seiner Kamera begleitete.
Helmut Newton hat Salomon und Weegee, die durchaus als Vorläufer der Paparazzi gelten können, geschätzt und die Paparazzi selbst aufgrund ihrer hartnäckigen wie geschäftstüchtigen Art geachtet. Und so macht es Sinn, dass die Berliner Helmut Newton Stiftung zum Ort für diese einzigartige Übersichtsausstellung wurde. Bereits zuvor ist Newton dort mit einigen zeitgenössischen, von ihm geschätzten Fotografen in einem bildhaften Dialog vorgestellt worden, zuletzt innerhalb der Ausstellungen Men, War and Peace und Wanted.
Seitdem Newton La Dolce Vita, den Film von Federico Fellini mit Anita Ekberg in der Titelrolle, gesehen hatte, interessierte er sich für das Phänomen der Paparazzi, schrieb Newton in seiner Autobiographie. 1970 reiste er nach Rom, um dort mit „echten“ Paparazzi zusammenzuarbeiten. Für einen Auftrag der Modezeitschrift Linea Italiana engagierte er sie, mit seinen Modellen vor seiner Kamera zu posieren. Die Paparazzi sollten bei Newtons ungewöhnlicher Versuchsanordnung das Modell so behandeln als sei es eine berühmte Person. Interessant und paradigmatisch für Newtons Werk ist die Kombination aus mehreren realen Faktoren wie Modell, Mode und Paparazzi auf der einen und die stilisierende Inszenierung des konkreten Bildes auf der anderen Seite. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hat er die Paparazzi wieder ins Visier genommen – und diese ihn, als Helmut Newton auf dem Filmfestival von Cannes mit seinen Modellen an der Croisette arbeitete.
Für Fellinis La Dolce Vita gab es ein konkretes Vorbild, dem der Regisseur im Spielfilm den Namen Paparazzo gab – seitdem die gängige Bezeichnung für diese Art Fotografen; es war Tazio Secchiaroli, der später zu seinem Set-Fotografen avancierte. Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre wartete Secchiaroli mit anderen Kollegen mit Kamera und Blitzgerät meist abends oder nachts an Roms Via Veneto auf prominente Opfer. In Südfrankreich, insbesondere an der Cote d’Azur, waren Edward Quinn und Daniel Angeli in den 1960er bzw. 1970er Jahren mit Teleobjektiven sehr aktiv. Die Interaktion zwischen dem Fotografen und seinem meist unfreiwilligen Modell ist von besonderem Reiz, insbesondere wenn die Stars ihr Gesicht zu verbergen suchen wie Greta Garbo oder Marlene Dietrich. In den USA, vor allem in New York und Los Angeles, genießt Ron Galella als Paparazzo seit den 1960er Jahren Kultstatus und hat viele nachfolgende Fotografen indirekt oder als Mentor geprägt.
Mit etwa 350 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien, teilweise als signierte Vintage Prints, von Salomon, Weegee, Galella, Quinn, Angeli, Secchiaroli, Pigozzi sowie Newton wurden in dieser Ausstellung Vorläufer wie Hauptvertreter der „klassischen“ Zeit der Paparazzi-Fotografie präsentiert. Gleichzeitig wird das Phänomen künstlerisch kommentiert und paraphrasiert. So wird anhand von Schnappschüssen aus sechs Dekaden die Geschichte dieser Art von Prominentenfotografie, die mit exklusiven Berichten über den Jet Set immer wieder für Auflagensteigerungen der „Yellow Press“ sorgte, illustriert und medienreflexiv untersucht.
Grenzüberschreitungen zur Celebrity-Fotografie sowie zum Portrait wird es immer geben. Der Titel gebende Fotograf Jean Pigozzi hat aufgrund seines gesellschaftlichen Standes einen intensiven, mitunter intimen Zugang zu den Schönen und Reichen, den viele Paparazzi sich wünschen würden. Auch er dringt in Privatsphären ein, doch die Stars willigen in die fotografische Entlarvung meist mit einem Lächeln ein. Jean Pigozzi ist mit vielen berühmten Personen der internationalen Gesellschaft und der Kulturszene befreundet, und so entstehen seit den 1970er Jahren unmittelbare Prominentenportraits an privaten Orten. Eine Besonderheit seines fotografischen Werkes stellen ungewöhnliche Doppelporträts dar: Pigozzi & Co. In dieser bisher nicht abgeschlossenen Bildserie sehen wir ihn mit befreundeten Musikern oder Schauspielern Kopf an Kopf gelehnt, in engem Bildausschnitt, mit ausgestrecktem Arm und der Kamera in der Hand auf sich und die anderen Protagonisten blickend. Auch dies sind Alltagsbilder, in denen sich Pigozzi selbst als Freund und Fan inszeniert. So führt er subtil wie hintergründig den Celebrity-Bilderhunger „ad absurdum“ – und bedient ihn zugleich, wenn er diese Aufnahmen in Büchern oder – wie hier in der Ausstellung – veröffentlicht.
Die meisten Paparazzi arbeiten heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr in Rom, sondern in Los Angeles, wo mit Hollywood seit Jahrzehnten die weltweit größte Bilder- und Illusionsmaschinerie existiert. Während die Stars das Blitzlichtgewitter und die ihnen gewidmete Aufmerksamkeit bei offiziellen Anlässen wie Filmpreisverleihungen oder Charities sichtlich genießen, wird die Kamera in den Händen der Paparazzi nach den Veranstaltungen von der Werbung zur Waffe. Und gerade diese Bilder werden kontrovers diskutiert und gleichzeitig für viel Geld gehandelt.